Positionspapier zum Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle

Atomausstieg, explizite Abbruchkriterien, externe wissenschaftliche Überprüfung und ständige Rückholbarkeit: klare Bedingungen der GRÜNEN an ein atomares Tiefenlager

Seit Jahrzehnten warnen die GRÜNEN vor den hohen Risiken für Mensch und Natur, die von Atomkraftwerken (AKW) ausgehen. Mehrere katastrophale Unfälle, darunter Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011), hatten verheerende Folgen und verwandelten besiedelte Gebiete in verstrahlte Gefahrenzonen. In der Schweiz sind mit Beznau I und II zwei der weltweit ältesten AKW in Betrieb. Die GRÜNEN fordern darum, dass der bereits beschlossene Atomausstieg in der Schweiz endlich konsequent umgesetzt wird. Erst dann wissen wir überhaupt, wie viel Atommüll eingelagert werden muss. Zudem sind AKW nach wie vor keine geeignete Alternative zu erneuerbaren Energien. Sie sind sehr teuer, haben sehr lange Planungs- und Bauzeiten und erhalten die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen (Uran) aufrecht.

Wir tragen Verantwortung für Atommüll, den wir nie wollten

Die Entsorgung von hochradioaktiven Abfällen ist ein grosses Problem, das nach wie vor ungelöst ist, und dies, obwohl die Inbetriebnahme der ersten Atomkraftwerke bereits über 50 Jahre her ist. Jahr für Jahr produzieren die vier noch laufenden AKW in der Schweiz rund 60 Tonnen hochradioaktiven Abfall. Dieser muss bis zu einer Million Jahre sicher gelagert werden können. Gemäss Kernenergiegesetz[1] hat die Schweiz die Verantwortung für ihren Atommüll zu übernehmen und ihn im Inland zu entsorgen. Oberstes Gebot ist dabei die Sicherheit von Mensch und Natur. Ob dies gelingen wird, ist bis heute nicht erwiesen, denn weltweit wurde noch kein einziges Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb genommen.

Klare Bedingungen der Grünen an ein Tiefenlager

Vor diesem Hintergrund nehmen die GRÜNEN Kanton Zürich den Standortentscheid der Nagra zur Kenntnis. Die GRÜNEN stellen acht klare Bedingungen an den weiteren Prozess und an den Bau eines Tiefenlagers für hochradioaktive Abfälle:

  1. Es muss ein verbindlicher Plan für den Ausstieg aus der Atomenergie vorliegen.
  2. Der Planungsprozess des atomaren Tiefenlagers muss ein explizites Abbruch-szenario (rote Linien) enthalten, für den Fall, dass sich ein Tiefenlager am Standort Nördlich Lägern (Stadel) nicht als beste Lösung oder gar als ungeeignet oder technisch nicht machbar herausstellt.
  3. Zusätzlich zur Beurteilung durch das ENSI (Eidgenössisches Nuklearsicherheits-inspektorat) und KNS (Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit) schafft der Kanton Zürich als Standortkanton ein unabhängiges Expertengremium, welches die NAGRA-Berichte kontinuierlich und kritisch begutachtet. Die gesetzlich vorgeschriebene Datentransparenz muss durch die Nagra umgesetzt werden.
  4. Das radioaktive Material muss auch nach dem Verschluss des Tiefenlagers aktiv beobachtet werden können und grundsätzlich rückholbar sein.
  5. Die Lasten durch atomare Oberflächenanlagen müssen angemessen zwischen den Regionen verteilt werden, sofern es die Sicherheit zulässt.
  6. Die regionale Bevölkerung und die Natur müssen bestmöglich vor schädlichen Emissionen durch die jahrzehntelangen Bauarbeiten geschützt werden. 
  7. Finanzielle Kompensationen werden bei Nachteilen aufgrund von Oberflächenemissionen und bei deutlichen Wertverlusten entrichtet.
  8. Die Kosten der Tiefenlagerung dürfen nicht zu Lasten von zukünftigen Generationen anfallen.

 

1.  Verbindlicher Plan für den Ausstieg aus der Atomenergie

Das Problem der Entsorgung von hochradioaktiven Abfällen ist nach wie vor ungelöst. Weltweit ist noch kein atomares Tiefenlager in Betrieb. Deshalb darf die Tatsache, dass die Planung für ein Lager in der Schweiz fortgesetzt wird, nicht zur voreiligen Annahme führen, dass der hochradioaktive Abfall bald kein Problem mehr sein wird und wir deshalb weiteren Atommüll produzieren könnten. Mit oder ohne Tiefenlager: Unser Atommüll ist eine hochgefährliche Hypothek für unzählige Generationen nach uns und wird diese während Jahrhunderten beschäftigen. Wir müssen die Produktion von Atommüll sofort stoppen und aus der Atomenergie aussteigen.

Zurzeit wird der hochradioaktive Abfall an der Oberfläche gelagert. Dafür existiert in Würenlingen ein Zwischenlager (Zwilag). Es stellt ebenfalls ein sehr ernst zu nehmendes Risiko dar. Wie lange der Atommüll am Ende dort herumstehen wird, weiss heute niemand.

2.  Definition von Abbruchkriterien

Die GRÜNEN verlangen: der weitere Prozess zur Erforschung des Tiefenlagerstandorts und zur Planung des Tiefenlagers muss ein explizit formuliertes Exitszenario enthalten, rote Linien, die eine Umkehr, einen Neuansatz oder den gänzlichen Ausstieg aus dem Prozess zur Folge haben. Nach gegenwärtigem Wissensstand der Nagra soll der Standort Heberstal bei Stadel (Nördlich Lägern) am besten für ein Tiefenlager geeignet sein. Doch die Möglichkeit, dass sich diese Einschätzung aufgrund neuer Erkenntnisse als fehlerhaft erweist oder dass ein Tiefenlager sich aufgrund technischer Probleme nicht realisieren lässt, muss im Planungsprozess zwingend mit aufgenommen werden. Es können stets neue wissenschaftliche und technische Entdeckungen dazu kommen, welche die sichere Lagerung des hochradioaktiven Abfalls in Frage stellen. Die für die Einlagerung vorgesehenen Opalinuston-Vorkommen in der Nordschweiz liegen in einer durchaus unruhigen tektonischen Zone. Es ist nach wie vor fraglich, ob es nicht irgendwann zu einem stärkeren Erdbeben kommen kann. 

Auch der früher vorgesehene Standort Wellenberg sah einst vielversprechend aus, und der dortige Granit wurde von der Nagra als sicheres Wirtgestein betrachtet. Letztlich erwies er sich jedoch als untauglich für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle.

3.  Datentransparenz und Überprüfung durch unabhängige Expertengruppe

Die Planung eines Tiefenlagers hat weitreichende und langfristige Folgen. Als Standortkanton muss der Kanton Zürich ein besonderes Interesse daran haben, dass die Planung auf der Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter höchsten Ansprüchen an die Sicherheit der Bevölkerung erfolgt. Bei der Nagra sind Interessenskonflikte nicht auszuschliessen, weil die AKW-Betreiber Genossenschafter sind. Oft haben Mitarbeitende des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI), das für die Aufsicht zuständig ist, auch schon für die Nagra gearbeitet und umgekehrt.

Deshalb fordern die GRÜNEN eine zusätzliche Überprüfung durch den Kanton Zürich, unter Einbezug unabhängiger, internationaler Expert:innen. Sie müssen die Auswertungen und Schlussfolgerungen der Nagra laufend begutachten. Dazu ist das umfangreiche Datenmaterial der Nagra zu veröffentlichen. Dass dem nicht immer so ist, hielt das Bundesgericht kürzlich fest. Mit Urteil vom 25. März 2021[2] rügte das Bundesgericht das ENSI, dass es dem Öffentlichkeitsprinzip nicht nachkommt. Auch die Nagra muss dem Öffentlichkeitsprinzip unterstellt werden.

4.  Rückholbarkeit des Atommülls muss stets gewährleistet sein

Auch nach dem Verschluss des Tiefenlagers muss der Lagerbereich über mehrere Generationen genau beobachtet werden. Es könnte sich immer zeigen, dass der Standort oder die Lagerungstechnik doch nicht sicher sind und ein Risiko besteht, dass Radioaktivität austritt – oder dass es einst bessere technische Möglichkeiten zur Einlagerung von hochradioaktiven Abfällen gibt. Deshalb muss das Tiefenlager so konzipiert sein, dass die Rückholbarkeit der Abfälle stets gewährleistet bleibt. 

5.  Angemessene Lastenverteilung zwischen den Regionen

Für die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle sind auch atomare Infrastrukturanlagen an der Oberfläche nötig, vom heutigen Zwischenlager in Würenlingen bis zur Verpackungs-anlage mit der „heissen Zelle“, in welcher der Atommüll in die Behälter für die Endlagerung gebracht werden soll. Für die GRÜNEN gilt: die Standortwahl für die atomaren Oberflächenanlagen muss primär nach obersten Sicherheitskriterien erfolgen, erst dann ist die ausgewogene Lastenverteilung zwischen den Regionen zu berücksichtigen. Dabei muss die Verträglichkeit für Bevölkerung und Umwelt bei der Standortwahl dieser Anlagen in jedem Fall garantiert sein.

6.  Schutz der regionalen Bevölkerung und der Umwelt

Der langfristige Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor radioaktiver Strahlung hat oberste Priorität. Aber auch die Umweltverträglichkeit und die Lebensqualität der regionalen Bevölkerung sind hoch zu bewerten. Im Zusammenhang mit der Planung, der Projektierung und gegebenenfalls dem Bau des Tiefenlagers wird die Region Nördlich Lägern, insbesondere die Gemeinden Stadel, Glattfelden und Weiach stark belastet: durch Landverbrauch, Baulärm und intensiven Baustellenverkehr. Die Oberflächen-bauten, der Aushub, die temporären Bauinstallationen, die Zufahrtswege und vieles mehr benötigen bis zu zwanzig Hektaren Kulturland und belasten die Region stark mit Emissionen. Die regionale Bevölkerung muss bestmöglich vor diesen Nachteilen geschützt werden. An die Umweltverträglichkeit sind hohe Ansprüche zu stellen.

7. Finazielle Kompensationen bei Nachteilen durch Oberflächenemissionen und bei Werteverlusten

Für die GRÜNEN ist klar: Abgeltungen und Kompensationen dürfen weder Anreize schaffen noch Entscheide in den Gemeinden beeinflussen. Ebenso dürfen keine Beiträge für mögliche radioaktive Risiken geleistet werden, denn bei der Sicherheit gibt es keinen Spielraum. Kompensationen soll es für den Erhalt der Lebensqualität, der Gesundheit und für den Erhalt von Natur und Umwelt geben. Bei deutlichen Wertverlusten haben Kompensationen zu erfolgen. Dafür braucht es Richtlinien, wobei die Prozesse einfach und transparent zu halten sind.

8  Keine Kosten für die künftigen Generationen

Die Kosten der Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle dürfen weder zu Lasten von zukünftigen Generationen noch zu Lasten von Steuerzahlenden anfallen. Der Stilllegungs- und der Entsorgungsfonds, die für den Rückbau der AKW und die Deponierung der hochradioaktiven Abfälle eingerichtet worden sind, müssen endlich angemessen gefüllt werden – das heisst aufgrund der realistischen Annahme von sämtlichen Kosten: Auch für die langfristige Überwachung und eine eventuelle Rückholung von radioaktiven Abfällen über die Verschlussphase hinaus muss eine klare Kostendeckung geplant werden.

 

 

Für die Grünen Kanton Zürich verfasst von:
Thomas Feer, Thomas Forrer, Selma L’Orange Seigo und  Wilma Willi


[1] KEG, Art. 30, Abs. 2

[2] BGE 2C_206/2019 (Link)