Letzte Woche erhielten die Kantonsratsmitglieder aus Zürich Nord einen Brief von Menschen aus Schwamendingen. Im Quartierteil Hirzenbach ist eine Neubausiedlung geplant: 152 alte Wohnungen werden abgerissen und durch 255 neue ersetzt. Das klingt auf den ersten Blick gar nicht so schlecht – 100 zusätzliche Wohnungen in der Stadt Zürich? Toll, werden sich einige von Ihnen denken.

Wohnungen sind aber kein gewöhnliches Konsumgut, das beliebig ausgetauscht werden kann. Alle Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung Grosswienstrasse/Glattwiesenstrasse haben per Ende September dieses Jahres die Kündigung erhalten. Etwa 450 Personen wissen nicht, wo sie in einem halben Jahr leben werden.

Doch: Sie verlieren nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ihr soziales Umfeld. Manche wohnen seit Jahrzehnten dort, sie haben Freunde und Familie in der Nähe. Sie arbeiten im Quartier, haben Kinder, die aus ihrem schulischen und sozialen Umfeld gerissen werden. Mit dem Verlust der Wohnung werden die Menschen entwurzelt. Die neuen Wohnungen werden für die bisherige Mieterschaft nicht erschwinglich sein. Die Eigentümerin will keine Zahlen nennen, spricht aber von «marktgerechten» Mieten. Die durchschnittliche Bestandesmiete für eine 3-Zimmer-Wohnung in Schwamendingen liegt bei 1260 Franken. Gemäss einer Analyse von Tsüri.ch beträgt der durchschnittliche Anfangsmietzins im Kreis 12 aktuell 2270 Franken. Das heisst, die marktübliche Miete bei einem neuen Vertrag ist 80% höher als bei den Bestandesmieten! Eine solche Miete für eine 3-Zimmer-Wohnung entspricht 43% des steuerbaren Medianeinkommens bei Verheirateten. Es ist offensichtlich, dass hier eine Verdrängung stattfindet.

Eine Verdrängung, die politisch geduldet ist, weil der Markt angeblich regelt. Die freisinnige Volkswirtschaftsdirektorin predigt Regulierungsabbau um die Investitionsfreudigkeit zu erhöhen. Wer Immobilien aber nur als Investitionen betrachtet, schafft Renditeobjekte und nicht Lebensraum für Menschen. Wenn hunderte von Menschen aus ihrem Quartier vertrieben werden, haben wir es offensichtlich mit einem Marktversagen zu tun. Dabei gäbe es sehr wohl Lösungen, wenn der Wille vorhanden wäre, Menschen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Neubauten können beispielsweise etappiert erstellt werden, und Mieten müssen sich nicht verdoppeln, wenn der Profit nicht über alles gestellt wird.

Im Gesetz über Wohnbau- und Wohneigentumsförderung heisst es: «Der Staat und die Gemeinden fördern die Bereitstellung von preisgünstigen Mietwohnungen für Personen mit geringem Einkommen und Vermögen, soweit ein Mangel besteht.» Ein solcher Mangel besteht seit Jahren. Hier herrscht offensichtlich Marktversagen. Die Volkswirtschaftsdirektorin darf nicht weiter untätig zuschauen, sondern muss den gesetzlichen Auftrag wahrnehmen. Der Kanton muss jetzt aktiv werden und die Gemeinden darin unterstützen für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Dazu tragen verschiedene Volksinitiativen bei – die Wohnungsinitiative der GRÜNEN, aber auch die die Vorkaufsrechtsinitiative und die Wohnungschutzinitiative. Vor allem darf die soziale Dimension beim Thema Wohnen nicht ausgeblendet werden. Wohnungen sind kein Konsumgut, und Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf.

Fraktionserklärung der GRÜNEN Versen durch Selma L’Orange Seigo