Unser Gesundheitssystem ist krank

Vor kurzem titelte die NZZ «Bürokratie, Burnouts und Behandlungsfehler» eine halbe Woche später folgte 20 Minuten mit «bis zu 80 Stunden pro Woche – jetzt packen Ärzte aus» – warum?

Auslöser war eine Umfrage der NZZ bei über 4500 Assistenzärzt*innen, also bei mehr als einem Drittel auf dieser Stufe Beschäftigten. Die Ergebnisse schockieren:

  • 90% der Assistenzärzt*innen arbeiten mehr als 10 Stunden pro Tag, 40% sogar mehr als 11 Stunden.
  • 4 von 5 haben aufgrund von Übermüdung schon Fehler gemacht.
  • 70% wollten schon den Beruf aufgeben
  • ¾ machen weniger als 30 Minuten Mittagspause

Wenn zudem bedenkt wird, dass 10% der hier ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte den Job an den Nagel hängen und das Studium die Steuerzahlerin rund 1.3 Millionen Franken pro Person kostet, liesse sich mit besseren Arbeitsbedingungen auch viele Steuergelder sparen.

Dazu kommen schockierende Aussagen in der NZZ wie, dass sich die Betroffenen zwischen Abendessen und Duschen entscheiden müssen, oder dass während einer 12 Stunden-Schicht auf dem Notfall keine Zeit für einen Toilettengang sei, oder dass die Assistenzärzt*innen selber nicht ihre eigenen Patient*in sein wollen.

Gleichzeitig bekommen mehr als die Hälfte nicht einmal die geforderten 4 Stunden Weiterbildung pro Woche. In Tat und Wahrheit werden die Ärzt*innen mit der Höchstarbeitszeit und darüber hinaus eingeplant. Die Weiterbildung, welche gemäss Art. 41 der Weiterbildungsordnung in der Zwischenzeit den Weiterbildungsstätten explizit 4 Stunden vorgeschrieben ist, wird zulasten der Arbeitsleistung vernachlässigt, weshalb die medizinische Versorgungsqualität immer mehr nachlassen wird, was uns alle tangiert, sollten wir medizinische Hilfe benötigen.

Auch ich musste in meinem bisherigen halben Jahr als Unterassistenzarzt – nicht Assistenzarzt, dass sind meine Vorgesetzten – ähnliche Erfahrungen machen: 18 Stunden Arbeitstage, vorsorgliche, systematische Einbestellung im Piketdienst, über 80 Überstunden in zwei Monaten, weinende Arbeitskolleg*innen wegen Überlastung, und so weiter…

Seit 1980 ist die Zahl der Universitätsabschlüsse pro 100’000 Einwohner*innen von 86 auf 183 gestiegen, hat sich also mehr als verdoppelt. Die Zahl der Abschlüsse in der Humanmedizin ist im selben Zeitraum gesunken, gesunken, meine Damen und Herren, und zwar von 13.5 auf 12.9.

Das je nach Studie bis zu einem Drittel der neuen, motivierten Ärzt*innen in ihrem ersten Jahr an einer depressive Symptomatik leiden, dass bis zu einem Sechstel aller in Ihrer Karriere eine Substanzabhängigkeit entwickeln oder auch dass die Prävalenz von Suiziden in unter Medizinern bis zu 3.5 mal höher ist als in der Allgemeinbevölkerung, erschreckt, erstaunt aber aufgrund der vorher erwähnten Zahlen leider, leider nicht.

Aus all diesen Gründen stellen wir Grünen folgende Forderungen an die Regierung:

  1. Die Einführung der 42 Stunden Woche für Ärzt* plus die garantierte strukturierte Weiterbildungszeit von 4 Stunden. Dies muss den Spitälern via Spitalliste vorgeschrieben werden. Leider hat es dieser Rat es verpasst, einen GAV für das Spitalpersonal in das Spitalplanungs- und Finanzierungsgesetz zu schreiben.
  2. Mehr Ausbildungsplätze fürs Medizinstudium. Damit die Arbeitslast auf mehrere Schultern verteilt und die Abhängigkeit von ausländischem Personal verringert werden kann.
  3. Einen Massnahmenplan insbesondere eines runden Tisches zwischen den Stakeholdern zur Reduktion des bürokratischen Aufwandes für unser ärztliches Personal. Damit sich unsere Ärzt*innen wieder vermehrt auf ihre ärztliche Tätigkeiten konzentrieren können, und die Freude am Beruf erhalten bleiben kann.
  4. Die Einhaltung des Arbeitsgesetzes muss häufiger und besser kontrolliert werden. Bisherige Ermahnungen und zu geringe Bussen zeigen zu wenig Wirkung.
  5. Sofortmassnahmen zur niederschwelligen psychischen Unterstützung von Ärzt*innen. Damit sie selbst nicht zu Patient*innen werden und damit wir alle in diesem Raum weiterhin medizinisch hervorragend behandelt werden.

 

Fraktionserklärung der GRÜNEN Kanton Zürich, verlesen durch Kantonsrat und und Unterassistenzarzt 
Benjamin Walder