Demokratie im Ausnahmezustand
Fraktionserklärung der Grünen Stadt Zürich im Gemeinderat
Wir leben in ausserordentlichen Zeiten. Das heisst aber nicht, dass sämtliche Regeln ausser Kraft sind. Das gilt vorab nicht für die Regeln des demokratischen Rechtsstaates.
Zuvorderst ist es unserer Fraktion ein zentrales Anliegen, dass das politische Leben in der Stadt wieder möglichst effektiv in Gang kommt. Das schliesst die kreative Wahl der Umsetzungsmittel nicht aus, aber es kann nicht sein, dass die Demokratie beeinträchtigt wird – das gilt nicht nur für die Institutionen des Rechtsstaates und für die Behörden, sondern auch für die Zivilgesellschaft. Die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit sollten so rasch wie möglich wieder hergestellt werden. Es ist zum Beispiel nicht einsehbar, warum Demonstrationen verboten sein sollten, solange die Hygiene-Vorschriften des Bundes eingehalten werden.
Die Grüne Fraktion stellt sich nach wie vor weitgehend hinter die Massnahmen des Stadtrates, die er in den letzten Wochen getroffen hat. Wir denken, dass sie sinnvoll, angemessen und hinreichend waren. Nun aber reden alle von der Rückkehr in die Normalität. Und naturgemäss ist dann fertig mit Einigkeit. Wir Grünen legen bei unseren Vorstellungen und Forderungen ein grosses Gewicht auf die Fairness und die Ungefährlichkeit von Massnahmen zur Lockerung des Lockdowns. Eine „zweite Welle“ ist unter allen Umständen zu vermeiden!
Zuerst muss der Rechtsstaat wieder voll hergestellt werden. Die Grundrechte sind einzuhalten. Der Verfassungsgrundsatz, wonach sich die Stärke des Volkes am Wohl der Schwachen misst, ist zu beachten. Auch für Menschen, die bisher durch die Maschen gefallen sind, sind Massnahmen nötig. Der Stadtrat hat hier schon viel Gutes getan, das unterstützen wir weiter, damit auch solche Menschen resilient werden und bei der nächsten Krise nicht gleich wieder herausfallen. Allerdings ist hier auch die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Stichworte sind Mietentlastung oder Erhaltung von Arbeitsstellen. Dass manche Firmen die hohle Hand beim Staat machen und mit der anderen Hand üppige Dividenden auszahlen, ist entlarvend.
Sodann müssen wir dafür besorgt sein, Freiräume für die Bevölkerung wieder öffnen zu können. Natürlich sollen auch hier strenge Hygienemassnahmen gelten, aber es ist auch eine Logik, dass die Abstandregel umso leichter eingehalten werden kann, je mehr Fläche zur Verfügung steht, vor allem im bevorstehenden heissen Sommer. Falls wir in der Stadt zu wenig Grün- und Freiräume haben sollten, dann müssten wir halt vorübergehend für mehr Fläche sorgen, zum Beispiel, indem wir nicht benötigte Parkplätze als Spielpätze freigeben oder Quartierstrassen für den Autoverkehr schliessen.
Auch die Versorgung der Bevölkerung ist uns wichtig, etwa die Öffnung der Frischmärkte. Es geht hier um den Erhalt der Vertriebskanäle von der Produktion bis zur Konsumentin. Märkte sind eine Alternative zu den Grossverteilern, und sie sind essentiell für die regionale Wirtschaft.
In den Volksschulen ist die Rückkehr zur Normalität, wenn es denn so etwas gibt, bereits geplant. Dabei müssen aber Massnahmen getroffen werden, um alle Beteiligten zu schützen, insbesondere wenn sie zur Risikogruppe gehören. Der Bildungsrückstand von Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen, wächst beim Homeschooling weiter an. Das sollte baldmöglichst aufgeholt werden z.B. durch zusätzliche DaZ-Lektionen, Aufgabenstunden, oder Klassenassistenzen. Diese zusätzliche Förderung soll auch nach der Corona-Krise beibehalten werden.
Spezielle Aufmerksamkeit gehört weiteren vulnerablen Gruppierungen. Stichworte sind Verbesserung der Situation in Frauenhäusern, Massnahmen für Sans-Papiers und Asylsuchende, aber auch für speziell exponierte Arbeiterinnen und Arbeiter, etwa auf Baustellen. Nicht nur Unternehmen müssen jetzt gerettet werden, sondern vor allem Menschen.
Wenn wir eines gelernt haben aus der Krise, dann ist es die Kostbarkeit und die Zerbrechlichkeit des demokratischen Rechtsstaates und die zentrale Wichtigkeit eines verlässlichen Service Public. Wir müssen endlich aufhören, unter dem ideologischen Denkmantel der Marktwirtschaft die grundlegenden und lebensnotwendigen Institutionen des Staates zu demontieren. Spitäler sind keine Profit Center, sondern gehören zur Grundversorgung. Ebenso die Betreuung von älteren Mitmenschen und Kindern. Ebenso die dezentrale Versorgung der Bevölkerung mit staatlichen Dienstleistungen. Was wir aber auch gelernt haben ist, dass Behörden und Verwaltung sehr schnell handeln können, wenn sie nur wollen. Das nehmen wir mit in andere Krisen, die bereits unter uns sind, auch wenn sie nicht täglich für Schlagzeilen mit Todesraten sorgen. Und last but not least nehmen wir Bilder mit, die unser Herz erfreuen: Züri autofrei zum Beispiel.
Zum Schluss möchten wir uns bedanken: Bei der Stadt Zürich für all die Massnahmen, die bereits schnell und effektiv umgesetzt wurden, vorab diejenigen, die weit über die Angebote von Bund und Kanton hinausgehen. Insbesondere die Beschlüsse betreffend die Mietverhältnisse sind hervorzuheben; hier ist die Stadt ein Vorbild für die Privaten. Sodann möchten wir uns bei denjenigen Mitarbeitenden der Verwaltung bedanken, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen, und schliesslich vor allem bei den speziell exponierten Mitarbeitenden in der Pflege, in den Blaulichtorganisationen und in den Schulen. Wir Grünen werden uns dafür einsetzen, dass sie nicht nur mit Applaus, sondern auch in Form von Geld und Zeit honoriert werden.